H e r t a: Da erinnere ich mich an eine komische Geschichte. Ein reicher Baron gab einmal ein Fest. Da war auch ein Ausländer eingeladen, der schlecht Deutsch konnte. Nun hörte er, wie ein Gast zu einem anderen sagte: «Dieser Baron hat großes Schwein. Er hat in der Lotterie gewonnen.» Als der Baron nun zu dem Ausländer trat und ihn begrüßte, sagte dieser: «Herr Baron, ich habe gehört, daß Sie in der Lotterie ein großes Schwein gewonnen haben!»
N a d j a (lacht): Schade, daß ich nicht dabei war und das erstaunte Gesicht des Barons nicht sehen konnte. Alle, die das sahen, hatten wirklich Schwein.
K u r t: Und Sie, Nadja, hatten Pech 1, daß Sie es nicht sahen, nicht wahr?
N a d j a: Pech heißt смола. Pech haben — терпеть неудачу, Pechvogel — неудачник. Das verstehe ich. Wo aber ist der Sinn? Warum bringt Pech Unglück? Mich interessiert, wie diese Redewendung entstanden ist.
K u r t: Wahrscheinlich stammt sie vom Vogelfang. Mit Pech fing man früher Vögel. Die Vogelfänger bestrichen die Zweige mit Pech, die Vögel setzten sich darauf und konnten nicht mehr auffliegen. Sie waren gefangen. Daher auch das Wort «Pechvogel».
H e r t a: Das Pech als Zeichen des Unglücks und der Schande kommt auch in manchen alten Märchen vor. Sie erinnern sich gewiß an das Märchen «Frau Holle», wo das faule Mädchen zur Strafe für seine Bosheit mit Pech übergossen wird.
K o r n e j e w: Glück oder Unglück, Schwein oder Pech — das ist alles interessant, aber wir müssen nach Hause gehen. Morgen ist auch ein Tag!
1Pech haben — терпеть неудачу; er hat Pech — ему не везёт
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KUNST UND WISSENSCHAFT
Der sechste und vorletzte Tag! ... Je mehr sich unsere Geschichte dem Ende nähert, desto trauriger wird Nadja, denn Scheiden tut weh 1. Aber desto glücklicher werden die beiden Deutschen, denn sie haben gute Arbeit geleistet. Nach dem Frühstück bespricht man den Tagesplan, und dann geht es an seine Verwirklichung. Kultur, Kunst, Wissenschaft — das Thema des heutigen Tages ist besonders interessant, nicht wahr?
Wohin zuerst? — Natürlich in die Staatliche Tretjakow-Galerie.
1. Episode: MAN SOLL NIE IN ZORN GERATEN 2
Zuerst nimmt Kurt die Fassade des Hauses Lawruschinski Pereulok Nr. 10 auf, wo sich die «Tretjakowka» befindet, wie die Moskauer ihr schönstes Museum liebevoll nennen. Dann gehen Herta, Nadja und Kurt durch die vielen Säle, bleiben vor einigen Gemälden stehen und diskutieren. Natürlich wird deutsch gesprochen. Besonders das Bild von Repin «Iwan der Schreckliche und sein Sohn Iwan» fesselt ihre Blicke 3. Zar Iwan IV. hält seinen toten Sohn in den Armen. Entsetzen malt sich auf seinem Antlitz 4: er war in Zorn geraten und wußte nicht mehr, was er tat. Jetzt sieht er, daß er den eigenen Sohn erschlagen hat. Zu spät!